Naturheilkunde Lerne das Wesentliche


Seitdem die Menschheit denken kann, ist sie mit der Frage beschäftigt, worum es eigentlich geht, was eigentlich wesentlich ist. Für die Kinder, wenn sie das Licht der Welt entdecken mit dem ersten Geburtsschrei, geht es um Versorgung; sie sind so vollkommen abhängig von den Eltern, Geschwistern oder Erwachsenen, die sich um sie kümmern. Da ist es recht einfach, das mit dem Wesentlichen. Doch dann, später, meist mit der Pubertät, mit dem Erwachen der Eigenständigkeit erwachen auch Fragen nach Sinn, Ziel und Aufgabe des Menschen – als Teil der gesamten Menschheit.

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Sackgassen waren immer schon gute Lehrer, wenn wir sie nur als solche verstehen lernen.

Es irrt der Mensch, solang er strebt: Der Mensch ist von Natur aus ein Wesen des Strebens, denn er hat in sich einen Pol, der die äußere, gewöhnliche Natur, das Zuhause des einfachen Lebens der Tiere überschreitet. Deswegen suchen wir seit Anbeginn der Zeiten nach Glück, nach Wissen, nach Macht oder einem tieferen Sinn. Doch interessanterweise führt dieses unaufhörliche Streben nahezu immer zu Irrtümern, Verwirrung, Chaos und Gewalt. Wir irren, da wir uns in unserem Drang nach mehr, besser, reicher und größer verlaufen.

In der Geschichte der Philosophie und Literatur finden wir zahlreiche Hinweise auf diese menschlichen Tragödien. So beschreibt Friedrich Schiller in seinem Gedicht „Der Spaziergang“ die menschliche Suche als eine Reise voller Irrwege: Der Mensch irrt, solange er strebt. Diese Worte bringen es auf den Punkt. Unser Streben ist nicht nur eine positive Kraft, sondern auch die Ursache von Fehlern und Missverständnissen. Aber Fehler, Drama, Unglück, Chaos usw. bringen Leid und Enttäuschung mit sich, und diese Erfahrungen öffnen im Laufe von unvorstellbaren Zeiträumen und nicht zu zählenden Inkarnationen die Seele; der Mensch wird zum Wahrheitssucher und wir erkennen anfangs meist brennend schmerzlich, dass alle äußeren Dinge unmöglich unser Ziel und unsere Bestimmung sein können. Da muss noch etwas dahinter sein. Das Streben nach Erfolg oder materiellem Wohlstand kann letztlich nur in der Sackgasse enden. Denn wir tragen noch ein anderes Element in unseren Seelen, eine Erinnerung an etwas Unvergängliches, an Licht.

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Selbstkenntnis – das Tor zum Weg des Wandels: Wer sich selbst erkennt, erkennt die Welt.

Mensch, erkenne dich selbst: Solange wir Irrlicht auf Irrlicht folgen, suggeriert von Medien und unbewussten Gewohnheiten, bleiben wir in Angst und Sorge und das Wesentliche, der jetzige Moment, die Gegenwart, bleibt unerfüllt, unbeantwortet, da wir im Nebel unserer Gedanken und Gefühle gefangen, mit einem Wort, vollkommen unfrei sind.

Erkenne dich selbst, wird von der universellen Lehre seit undenklichen Zeiten gelehrt und wurde in unserer Kultur von den antiken Griechen als dringlicher Wert hochgeehrt: Der Mensch ist ein zweifaches Wesen, einerseits die bekannte Person mit Namen und Reisepass, andererseits ein Mikrokosmos, eine kleine Welt, in der das ganze Sternensystem und noch viel mehr verborgen ist und auf Wiederbelebung wartet.

Viele Menschen leben ihr Leben nach Maßstäben einer total verkehrten Gesellschaft, vor allem des Fernsehens – das Gift der Ablenkung seit Generationen schlechthin: Erfolg im Beruf, Ansehen, materielle Güter, Macht, tägliches Zumüllen mit Lügen, die eitel genannt werden. Ohne Selbstkenntnis laufen wir hohe Gefahr, uns in diesen äußeren Dingen zu verlieren. Die Frage lautet: Wer bin ich jenseits dieser Rollen? Was ist echt?

Selbsterkenntnis bedeutet vor allem auch, die eigenen Unbewusstheiten erkennen und erforschen zu wollen, um ehrlich mit sich selbst umzugehen.

Der Weg der Selbstkenntnis ist keine glatte, breite Straße; er erfordert Mut, vor allem sich selbst gegenüber. Meditation, Schreiben in einem Tagebuch, gute Gespräche mit vertrauten Menschen können hilfreich sein, oder allein sein, oder Wanderungen im Wald und in Stille. Indem wir uns selbst besser verstehen lernen, gewinnen wir Klarheit darüber, was wirklich wichtig ist – unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen oder modischen Trends.

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Wir können dem Leben nicht mehr Zeit geben, aber der Zeit können wir Leben geben – wenn wir es können. Doch müssen wir dafür verstehen, dass Leben und Gegenwart hier und jetzt eins sind.

Also, wie ist das nun mit dem Wesentlichen? Nachdem wir erkannt haben, dass Irrtümer beim Streben normal sind und dass Selbstkenntnis essenziell ist, stellt sich die zentrale Frage: Was ist das Wesentliche, das es zu erlernen gilt? Materielle Güter, oberflächliche Erfolge können es nicht sein; das hatten wir bereits. Es liegt vielmehr in den grundlegenden Werten wie Liebe, Empathie, Mitgefühl und vor allem Dankbarkeit.

Der französische Schriftsteller Albert Camus betonte die Bedeutung des Lebenssinns jenseits äußerer Ziele: Man muss sich dem Absurden stellen. Und gerade darin liegt die Chance zur bewussten Gestaltung unseres Hier-Seins. Wir suchen nicht mehr nach unerfüllbaren Zielen in der Zukunft oder plagen uns mit unseren vergangenen Dramen, sondern erforschen und verstehen sie und dadurch befreien wir uns von ihnen und ihrer vordergründigen Absurdität.

Unabhängig werden von den äußeren Umständen bedeutet also, diese Umstände gut zu begreifen, ihre Botschaft zu erkennen (die ja oft recht verschlüsselt sind, gleich dem Geheimnis).

Weiter geht es beim Lernen des Wesentlichen um das tiefere Verständnis dessen, was tagtäglich auf uns zukommt. Denn wir wissen, alles folgt dem Gesetz der Resonanz: wie innen, so außen.

In einer Welt voller Ablenkungen wird es immer wichtiger zu lernen: Was sind meine Kernwerte? Was gibt meinem Leben Sinn? Indem wir diese Fragen ehrlich beantworten und danach handeln, finden wir den Weg zum Wesentlichen. Wer bereit ist zu lauschen, zuzuhören – seinem Herzen ebenso wie seiner Vernunft – wird gleichsam aufwachen in ein erfülltes Leben im Einklang mit dem eigenen Wesen und den grundlegenden Werten der Menschlichkeit.

Wahres Lernen besteht weiterhin darin, sich von oberflächlichen Zielen abzuwenden und sich auf das Fundament unseres Seins zu besinnen: Liebe statt Besitz, Mitgefühl statt Egoismus, Dankbarkeit statt Gier. Es bedeutet ganz besonders: Verantwortung zu übernehmen. ■

  • Klaus Bielau

    Autor: Dr. med. Klaus Bielau

    Homöopathischer Arzt und Ganzheitsmedizinerin Graz. Buchautor, Kolumnist und Redakteur, Vortragender und Lektor für Homöopathie an der Uni in Graz sowie an den Paracelsus-Schulen Graz und Wien.

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